Das Elend der Befristung an den Universitäten

„An Hochschulen bleibt prekäre Beschäftigung Normalität“, überschrieb die Süddeutsche Zeitung am 17. März 2017 einen Artikel zur aktuellen Situation an den deutschen Hochschulen und fasste damit die Kritik der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft am weiterhin hohen Befristungsanteil der dort beschäftigten Wissenschaftler prägnant zusammen.

In der Tat geben die nackten Zahlen zum Frohlocken wenig Anlass. Hatte doch der „Bundesbericht wissenschaftlicher Nachwuchs“ schon 2013 darauf hingewiesen, dass die Arbeitsverhältnisse wissenschaftlichen Hochschulmitarbeitern hierzulande seit Jahren durch einen fast 90%igen Befristungsanteil, zunehmend kürzere Vertragslaufzeiten und Auswüchse wie Kurzzeit-Kettenverträge gekennzeichnet sind. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft scheinen demnach der Normalfall zu sein.

Die Politik gelobte seinerzeit Besserung und verabschiedete im März 2016 das Wissenschaftszeitvertragsgesetz, dem zufolge Arbeitsverträge zwar bei Drittmittelfinanzierung weiterhin erlaubt sind, ansonsten jedoch nur noch zum Zwecke der Qualifizierung befristet werden dürfen, wobei die Befristung der angestrebten Qualifizierung „angemessen“ zu sein hat.

Das war vor allem in Bezug auf Promotionen ein Schritt in die richtige Richtung, hatte doch das starke Anwachsen der Promotionen in den letzten Jahren auch die Zahl der zu kurz befristeten Verträge nach oben getrieben; nunmehr wurden die Laufzeiten dem Promotionsvorhaben besser angepasst. Im Hinblick auf die Beschäftigungsverhältnisse der Wissenschaftler trug die neue Regelung jedoch kaum zur Klarstellung bei, da „angemessen“ ein denkbar dehnbarer Begriff ist und das Gesetz statt klarer Mindestvertragslaufzeiten vor allem neue Auslegungsprobleme schuf. Denn was eine Qualifizierung ist, ist weiterhin Interpretationssache und damit letztlich der juristischen Klärung unterworfen. Die Hochschulen als akademische Arbeitgeber nutzen jedenfalls offensichtlich weiterhin alle Möglichkeiten zur Befristung und definieren zur Reduzierung der Laufzeiten so manche Routineaufgabe zur „Qualifizierung“ um, so dass Befristungen von wenigen Monaten weiterhin keine Seltenheit sind.

Dieses Weiterbestehen der Problematik belegt eindrucksvoll der am 16. Februar 2017 veröffentlichte neue Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN). Ihm zufolge liegt die Quote der befristeten Verträge für Wissenschaftler unter 45 Jahren nach wie vor bei 93 Prozent und damit auf demselben Niveau wie 2010 und sieben Prozent über dem Stand von 2005. Allerdings sind die akademischen Berufsgruppen von der Befristung unterschiedlich betroffen: am wenigsten die Professoren (9,7 Prozent), die wissenschaftlichen Mitarbeiter fast durchgehend (87,1 Prozent) und selbst die so genannten „Lehrkräfte für besondere Aufgaben“, die ihre Praxiserfahrungen einbringen sollen, noch zu 57,1 Prozent. Zwar gehen die einzelnen Hochschulen durchaus unterschiedlich mit dem Instrument der Befristung um, doch beträgt deren Quote nur bei einer einzigen deutschen Hochschule weniger als 70 und ansonsten bis zu 99 %.

Doch auch wenn manches Rektorat ebenso betriebswirtschaftlich wie ein Unternehmen argumentiert und die ihm gebotenen Befristungsmöglichkeiten nur zu gern nutzt, liegt die Verantwortung für die Misere nicht primär bei den Hochschulen selbst. Denn die ihnen zugewiesenen staatlichen Mittel sind zwar in den letzten Jahren stark gewachsen, doch werden sie zumeist ebenso befristet vergeben wie die stark gestiegenen Drittmittel. Der Geldgeber reicht also den Schwarzen Peter lediglich an die Hochschulleitungen weiter. Ganz aus dem Schneider sind aber auch sie nicht, haben sie doch selbst die grundfinanzierten Stellen mittlerweile zu rund 75 % befristet.

Der aktuelle Bundesbericht beschreibt eindrucksvoll die nachteiligen Folgen dieses „Befristungswahns“ für die Betroffenen. Fehlende berufliche Etablierung und unsichere finanzielle Situation machen es vielen Nachwuchswissenschaftler unmöglich, so etwas wie Familienplanung zu betreiben und zwingen sie auf unbestimmte Zeit, mögliche Kinderwünsche zu verschieben. Die weitere akademische Karriere bleibt lange unsicher, weil der hohen Zahl wissenschaftlicher Mittelbau-Angestellter aufgrund des nur 10%igen Professorenanteils am Wissenschaftspersonal lediglich eine kleine Zahl freier Professorenstellen gegenübersteht. Ein beträchtlicher Teil der Nachwuchswissenschaftler hofft daher jahre- oder gar jahrzehntelang vergeblich auf eine Festanstellung und weiß teilweise über das vierzigste Lebensjahr hinaus nicht, ob er einmal an der Hochschule bleiben wird. Leidtragende dieser Zustände sind nicht nur die direkt Betroffenen selbst, sondern vor allem auch jene, von denen in der gesamten Diskussion um die Befristung kaum je die Rede ist: die Studentinnen und Studenten. Denn die geringe Anzahl von Professoren und der hohe Anteil unsicher beschäftigter wissenschaftlicher Fachkräfte hat genau jene unzureichende Betreuungsqualität zur Folge, die von vielen Studierenden mit Recht immer wieder beklagt wird.

Man darf deshalb gespannt sein, was die für 2020 geplante Evaluierung der neuen Rechtslage bringt – den Beschäftigten, vor allem aber den Studentinnen und Studenten.

Siehe dazu auch: http://www.sueddeutsche.de/politik/universitaeten-wissenschaft-in-der-warteschleife-1.3382482