Deutschlands Politik schlägt Alarm: internationalen Vergleichsstudien zufolge liegen hiesige Schulen in Sachen Internet und IT-Nutzung gegenüber dem Ausland deutlich im Hintertreffen. Während sich in Norwegen statistisch 2,4 Schüler einen Computer teilen, sind es hierzulande 11,5, und die diesbezüglichen Kenntnisse sind allenfalls durchschnittlich. Hinzu kommen große Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern.
Als Reaktion darauf kündigte Bundesbildungsministerin Wanka im Oktober 2016 das Projekt „DigitalPakt#D an, ein groß angelegtes Programm zum Ausbau der Schul-IT in unseren Schulen. Durch diese mit 5 Milliarden Euro geförderte Offensive will die Ministerin 40.000 Schulen bis 2021 mit einer Breitbandanbindung, WLan-Zugängen, Laptops und Tablets ausstatten. Die Bundesländer sollen begleitend die personellen und technischen Voraussetzungen schaffen indem sie das Personal schulen, Unterrichtskonzepte entwickeln, technische Standards vereinheitlichen und für den Wartung und den Betrieb der digitalen Infrastruktur sorgen. Die Kultusminister der Länder hatten schon im Mai 2016 beschlossen, die Digitalisierung in den Bildungsplänen und in der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften zu verankern.
Reduziert die Digitalisierung Bildungsdefizite?
Anstrengungen in Sachen Digitalisierung sind ohne Zweifel notwendig, denn aktuelle Studien bescheinigen den Schülern hierzulande in Sachen digitale Kompetenz, also dem kritischen Umgang mit dem Netz und seinen Angeboten, einen großen Nachholbedarf. Gleichwohl muss sich dieses Projekt einige kritische Nachfragen gefallen lassen.
Zunächst stellt sich die Frage, ob das Bildungswesen hierzulande keine dringenderen Sorgen hat. So hat man den Eindruck, die sich seit Jahren häufenden Berichte über unzureichend ausgestattete Schulen, bauliche Mängel und aus Kostengründen ausbleibende Reparaturen habe es nie gegeben. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob die geplante Investition tatsächlich an der richtigen Stelle vorgenommen wird. Fast mutet das Ganze eher wie ein riesiges Investitionsprogramm für die Elektronikindustrie an. Und so etwas hatten wir schon einmal: Wer erinnert sich nicht an die vor einigen Jahrzehnten mit immensem finanziellen Aufwand eingerichteten Sprachlabore, die einmal als letzter Stand der Lerntechnik gepriesen wurden und am Ende in den Schulen nur noch langsam vor sich hinrotteten. Auch im aktuellen Fall ist zweifelhaft, ob die Länder die langfristigen Folgekosten für Wartung der Geräte und Qualifizierung der Fachkräfte wirklich schultern können.
Nun ließe sich einwenden: Kosten hin oder her, wenn es um die Ausbildung unserer Kinder und um deren Chancengleichheit geht, sollte uns nichts zu teuer sein. So richtig das grundsätzlich ist, so haben doch zahlreiche Wissenschaftler im konkreten Fall ernsthafte Zweifel, ob der nun eingeschlagene Weg den Kindern nicht eher schadet als nutzt.
Nicht wenige Mediziner sind der Ansicht, digitale Medien seien nicht förderlich für die geistige Entwicklung junger Menschen, der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte spricht sogar von »deutlichen gesundheitlichen und psychologischen Beeinträchtigungen« und von einem »Anstieg an Überforderung, Kopfschmerzen, ADHS und psychischen Erkrankungen«. Gerade für die geistige Entwicklung von Kleinkindern sei ein allzu früher Gebrauch von Bildschirmmedien eher schädlich, weshalb zahlreiche Wissenschaftler vor noch nicht erforschten Folgen von zuviel Bildschirmarbeit warnen. In aller Munde ist bereits das große Ablenkungs- und Suchtpotenzial der Medien und die Unfähigkeit der Kinder, sich länger auf eine Sache zu konzentrieren. Weniger als 40 % der neun- und zehnjährigen Kinder sind in der Lage, sich länger als eine halbe Stunde ohne elektronische Medien zu beschäftigen. Nicht selten sind Sprachentwicklungs- und Lernleistungsstörungen die Folge des übermäßigen Medienkonsums.
Und ob diesen möglichen Gefahren wirklich ein positiver Nutzen gegenübersteht, ob also die Digitalisierung beispielsweise die stark unterentwickelte Lese-, Schreib- und Ausdrucksfähigkeit der Heranwachsenden fördert, darf ernsthaft bezweifelt werden. Das gilt auch für das generelle Lernverhalten. Nach Auskunft des Deutschen Lehrerverband gibt es zumindest keine einzige Studie die nachweist, dass Schüler digital wirklich besser lernen.
Gründe genug also noch einmal darüber nachzudenken, ob nicht zunächst flächendeckend unsere vielen sanierungsbedürftigen Schulgebäude renoviert und damit gute Rahmenbedingungen für den Unterricht geschaffen werden sollten, bevor man eine zweifelhafte IT-Großoffensive startet. Anschließend könnte die neue Technik dort als Unterstützung gezielt entwickelt und eingesetzt werden, wo sie wirklich gebraucht wird. In welchen Fächern und zu welchen Themen dies sinnvoll ist muss allerdings erst noch erhoben werden. Das würde Geld sparen, aber Zeit kosten; Zeit, die die Bundesbildungsministerin vor der Bundestagswahl offenbar nicht hat. Das wäre dann fast eine gute Nachricht: Wenn das alles nur Ankündigungspolitik war, dann können sich die Kritiker vermutlich entspannt zurücklehnen.