Qualitative Experteninterviews sind häufig die Methode der Wahl, um in einer Abschlussarbeit oder einer Doktorarbeit Aussagen von Praktikern anhand der erarbeiteten Literaturlage zu reflektieren.
Dann stellt sich die Frage: Nach welcher anerkannten qualitativen Methode soll ich die Experteninterviews auswerten?
Meist wird hierfür die qualitative Methodik von Mayring oder Kuckartz genannt. Da wir in vorangegangenen Beiträgen die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring bereits behandelt haben, soll in diesem Beitrag die Methode nach Kuckartz näher beleuchtet werden.
Dies ist insbesondere dann hilfreich, wenn Sie im Verlauf Ihres Studiums bislang eher Bekanntschaft mit quantitativen empirischen Verfahren gemacht haben. Dann kann der folgende kurze Überblick über Grundzüge, Anwendungsbereiche und Vorgehensweise der qualitativen Inhaltsanalyse am Beispiel der Methode von Kuckartz für Sie hilfreich sein.
Warum eine qualitative Inhaltsanalyse?
Qualitative Inhaltsanalysen ermöglichen die kontrollierte und regelgeleitete Auswertung der kommunikativen Inhalte von Dokumenten jeglicher Art, seien es Transkriptionen eigens durchgeführter (Experten-)Interviews, Akten, Presseartikel oder Briefe. Im Gegensatz zu quantitativen Erhebungen oder Befragungen geht es dabei nicht um die Quantifizierung der Ergebnisse, sondern um die Identifizierung und korrekte Auswertung inhaltlich aussagekräftiger Textpassagen.
Inhaltsanalytische Verfahren zielen darauf ab, die Inhalte von Texten zu erfassen und zu interpretieren, indem sie diese mittels eines Kodierverfahrens systematisch aufschlüsseln. Unter Kodieren versteht man die Zuordnung bestimmter Textteile zu vorab gebildeten Kategorien, die entweder induktiv (aus dem Material heraus), deduktiv (aus der die Untersuchung leitenden Theorie) oder in einer Kombination beider Ableitungsformen gewonnen wurden (z.B. deduktive Festlegung einiger Hauptkategorien und im Verlauf der Analyse induktive Herleitung von Unterkategorien aus dem Material heraus).
Die beiden bekanntesten und am häufigsten genutzten Methoden sind hier eben Mayring und Kuckartz.
Mayring und Kuckartz – Gemeinsamkeiten und Unterschied
Beide Methoden lassen sich sowohl deduktiv und als auch induktiv nutzen. Während Mayring jedoch eher von einer zugrunde liegenden und die Analyse leitenden Theorie ausgeht, also die deduktive Vorgehensweise nahelegt, geht Kuckartz tendenziell vom Material selbst aus und ist eher induktiv orientiert. Beide lassen aber die deduktiv-induktive Mischform zu; Kuckartz hat diese schon immer als eine Option vorgesehen, Mayring hat diese Vorgehensweise erst in neueren Auflagen seines Standardwerks zur qualitativen Inhaltsanalyse eingefügt. Gegenüber Mayring, der durch detaillierte Beschreibungen mehr Regeln festlegt, ist das Vorgehen bei Kuckartz von größerer Offenheit geprägt und lässt mehr Spielraum für eigene Überlegungen. Das wird besonders beim weiter unten beschriebenen iterativen Vorgehen deutlich, bei dem Kuckartz das erforderliche Kategoriensystem nicht vorab festgelegt, sondern schrittweise entwickelt und immer weiter verbessert.
Aufgrund dieser Ausrichtung eignet sich die induktive Methode von Kuckartz insbesondere auch dazu, noch kaum erforschte Themen, zu denen bislang wenig Literatur existiert, durch Experteninterviews explorativ zu ergründen. Ein weiterer Unterschied liegt in der stärkeren Betonung der Computerunterstützung bei Kuckartz (insbesondere durch das von Kuckartz mit entwickelte MAXQDA).
Die Entscheidung für Mayring oder Kuckartz sollte letztlich anhand des vorhandenen Materials, vor allem aber nach den Empfehlungen der Dozenten erfolgen, da diese oftmals eine bestimmte Methode favorisieren.
Vorgehensweise bei der qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz
Iterative Textarbeit
Bei der Analyse des Materials kann man zwischen drei Basismethoden wählen: inhaltlich-strukturierend (das Material wird sprachlich zusammengefasst und in einer Kategorienmatrix festgehalten), evaluativ oder typenbildend. Da die erstere zumeist grundlegend ist und auch vor den beiden anderen eingesetzt wird, soll sie hier beispielhaft kurz erläutert werden.
Die Textanalyse erfolgt bei Kuckartz in sieben Schritten, die keinem strengen einmaligen Ablauf folgen, sondern mehrfach durchlaufen werden. Man kann sich zwischen ihnen hin und her bewegen, um einzelne Schritte solange weiter zu vertiefen, bis man das Maximum aus dem analysierten Text „herausgeholt“ hat. Diese Schritte sind, jeweils orientiert an der zugrunde liegenden Forschungsfrage:
- Initiierende Textarbeit
(Markieren wichtiger Textteile und Notierung wichtiger Gedanken dazu) - Entwicklung thematischer Hauptkategorien („Schlagworte“)
(Ableitung aus der Forschungsfrage bzw. auch induktiv aus dem Material selbst) - Kodierung des Materials mithilfe der Hauptkategorien („Verschlagwortung“)
- Sammlung aller entsprechender Textstellen entlang der Hauptkategorien
- Induktives Bestimmen von Subkategorien
(aus der erneuten Analyse des ausgewählten Materials) - Erneute Materialkodierung
(Kodierung des gesamten Textes anhand des gewonnenen Kategoriensystems aus Ober- und Unterkategorien) - Analyse und Darstellung der Ergebnisse, z.B. mithilfe von Tabellen oder Abbildungen, Dokumentieren des eigenen Vorgehens.
Beispiel für qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz
Beispiel Vergleich Wahlprogramme für Bundestagswahl
Zur Bundestagswahl 2025 wollen Sie ermitteln, welche Politikbereiche im Vordergrund der Parteien stehen. Sie nutzen dazu am besten die Wahlprogramme. In der initiierenden Textarbeit (1) lesen Sie die Programme durch und markieren schon mal solche Passagen, die Ihnen wichtig erscheinen. Bei der (2) Entwicklung thematischer Hauptkategorien können Sie dann verschiedene Politikfelder nutzen, z. B. Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik, Gesundheitspolitik, usw. Entlang dieser Kategorie (3) kodieren Sie dann das Material, weisen also entsprechenden Kategorien die jeweils passenden Textstellen zu. Wenn Sie das erledigt haben, sammeln sie (4) die Textstellen und überlegen, vielleicht auch mit Textstellen, zu denen Sie keine klare Zuordnung treffen konnten, ob sich (5) Subkategorien eignen. Bei der Gesundheitspolitik wäre das z. B. als Subkategorie das „Krankenversicherungswesen“, als weitere Subkategorie die „Pflegeversicherung“ und als zusätzliches Beispiel die „Krankenhausreform“. Wie viele dieser Subkategorien Sie bilden, entscheiden Sie. Werden Sie nur nicht zu kleinteilig – Sie sollen ja Komplexität reduzieren, nicht erhöhen. Nachdem Sie diese Subkategorien gebildet haben, kodieren Sie das Material (6) erneut entlang dieser Kategorien. Danach können Sie die Ergebnisse (7) analysieren und darstellen. Da hier die Untersuchung der wichtigsten Politikbereiche in Wahlprogrammen im Vordergrund stand, können Sie z. B. mittels Tortendiagrammen darstellen, welche Politikbereiche welche Anteile am Programm haben.
Kuckartz empfiehlt die Nutzung von Softwaretools zur Unterstützung der Analyse, um die Daten effizienter zu organisieren und zu analysieren. Programme wie MAXQDA oder NVivo können dabei helfen, die Kategorien und Codes zu verwalten. Nicht wenige Hochschulen stellen entsprechende Lizenzen bereit oder es kann eine Testversion genutzt werden.
Eine wichtige Rolle im gesamten Prozess spielen Transparenz und intersubjektive Nachvollziehbarkeit. Ebenso wie Mayring legt Kuckartz großen Wert auf systematisches Vorgehen und auf die Wiederholbarkeit (Replizierbarkeit) der Ergebnisse, weshalb das methodische Vorgehen während der Analyse (Kategorienbildung, Entscheidungsprozesse) sorgfältig dokumentiert werden muss. Kuckartz sieht dazu auch die Erstellung eines Kodierleitfadens vor, der die Kategorien inhaltlich definiert und sogenannte Ankerbeispiele bietet. Indem Änderungen, Abweichungen und Besonderheiten im eigenen Vorgehen in der Arbeit berichtet werden, ist die Analyse für Dritte nachvollziehbar und wiederholbar.
Insgesamt bietet die qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz einen strukturierten Rahmen zur Analyse qualitativer Daten, der sowohl Flexibilität als auch Systematik vereint.
Wenn Sie Unterstützung bei der Nutzung und Anwendung der Methode wünschen, wenden Sie sich gern an uns.
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