Fragebögen für qualitative Experteninterviews

Warum qualitative Experteninterviews?

Die Nutzung qualitativer Experteninterviews zur empirischen Fundierung einer wissenschaftlichen Abschlussarbeit bietet im Vergleich zu einer quantitativen Befragung oder Erhebung mehrere Vorteile. Anders als mancher vermutet liegen diese jedoch weniger im Bereich der Arbeitsökonomie, also einer möglichen Zeitersparnis. Auch ist der Aufwand bei korrekter methodischer Umsetzung trotz der vermeintlich offeneren Struktur der Befragung keineswegs geringer, erfordern qualitative Interviews doch – wie wir noch sehen werden – eine intensive Vorbereitung und Strukturierung sowie eine nicht-standardisierte qualitative Auswertung einschließlich präziser Kodierung, Kategorienbildung und Dokumentation.

Die eigentlichen Vorteile einer qualitativen Befragung liegen vielmehr im inhaltlichen Bereich. Qualitative Befragungen wissenschaftlicher Experten oder Praktiker eines bestimmten Wissenschafts- oder Tätigkeitsbereiches können – als Ergänzung zu einer bereits durchgeführten Literaturauswertung –  tiefere Einblicke in komplexe Themen bieten, die durch quantitative Methoden nur in Ausnahmefällen vollständig erfasst und ausgelotet werden. Sie eröffnen die Möglichkeit, Perspektiven und Erfahrungen von Fachleuten in einem bestimmten Bereich nachzuvollziehen, bestehende Praktiken, Programme oder Politiken zu evaluieren und praxiserprobte Verfahren und Strategien (Best Practices) zu identifizieren. Bei neuartigen oder wenig erforschten Themen können sie schließlich dazu beitragen, erste Hypothesen zu entwickeln und relevante Fragestellungen zu erkennen.

Qualitative Interviews sind damit ein wertvolles Werkzeug, um hochwertige und kontextreiche Informationen zu sammeln, die für die Forschung, Entscheidungsfindung und Praxisentwicklung von Bedeutung sind.

Wer gilt als Experte?

Das hängt vom jeweiligen Erkenntnisinteresse ab. Der Expertenstatus wird  vom Forschenden zugeschrieben. Im Regelfall gelten Experten als Personen, die in herausgehobenen Positionen und in solchen Kontexten handeln, die sie als Experten kennzeichnen und sie interessant für die definierte Zielsetzung der wissenschaftlichen Arbeit machen. Wer Experte ist, definiert sich also immer über das Forschungsinteresse und die soziale Repräsentativität des Experten. Sein Wissen kann dazu dienen, praxiswirksame Deutungen im jeweiligen Handlungsfeld abzuleiten, was orientierungs- und handlungsanleitend für andere Akteure sein kann.

Leitfadeninterview

Wie bereits angedeutet, sollte man sich nicht von der vermeintlich offeneren und flexibleren Form im Verhältnis zur standardisierten Befragung täuschen lassen. Ein qualitatives Interview zu konzipieren und durchzuführen bedeutet vielmehr einen beträchtlichen Aufwand und erfordert neben umfassenden Kenntnissen ein diszipliniertes methodisches Vorgehen.

Das beginnt mit der sorgfältigen Auswahl einer hinreichenden Anzahl von Gesprächspartnern, die zur Beantwortung der eigenen Forschungsfrage etwas beitragen sollen. Wieviele das sind, ist abhängig vom Thema der Arbeit und wird in Absprache u.a. mit dem Dozenten festgelegt.

Qualitative Experteninterviews werden in der Regel als semistrukturiertes Interview geführt (auch als Leitfadeninterview bezeichnet). Ihre Gesprächsführung unterscheidet sich wesentlich von anderen, hier nur kurz zu erwähnenden Interviewformen: Während das strukturierte Interview streng einem Fragebogen und seiner Reihenfolge folgt und damit eher unflexibel ist, lässt das unstrukturierte Interview (narratives Interview) dem Erzählen des Befragten weitgehend freien Lauf und beschränkt sich auf eine Einstiegsfrage und gelegentliche, eher spontane Nachfragen. Es eignet sich insbesondere für biographische Erzählungen.

Das Leitfadeninterview wird demgegenüber anhand einer vorher genau zu überlegenden Anzahl festgelegter und vorformulierter Fragen strukturiert, die den Befragten durch mehrere Themenblöcke führen, ihm bei der Beantwortung der einzelnen Fragen aber weitgehend freie Hand lassen.

Worauf ist bei der Umsetzung zu achten?

Bei der Planung und Umsetzung sollten insbesondere folgende Punkte berücksichtigt werden:

  1. Ziele: Zunächst müssen die Ziele des Interviews klar definiert werden. Was möchte ich herausfinden und was kann ich vom Interviewten erwarten und was nicht?
  2. Fragen: Im Experteninterview finden vor allem offene Fragen Anwendung. Während geschlossene Fragen sich zumeist mit Ja oder Nein beantworten lassen und sich damit zur präzisen Abfrage von Informationen, aber nur in Ausnahmefällen zur differenzierten Erfassung von Zusammenhängen eignen, zielen offene Fragen auf komplexere Informationen ab und lassen den Befragten viel Spielraum, ausführlich zu antworten und ihre Perspektiven darzulegen. Beispiele für offene Fragen sind: „Welche positiven und welche negativen Erfahrungen haben Sie in Ihrer fünfährigen Zeit als Pflegekraft im Seniorenheim xy gemacht?“ „Wie schätzen Sie die aktuelle Personalsituation im Pflegesektor ein?“
  3. Klarheit und Verständlichkeit: Formulieren Sie die Fragen klar und verständlich, um Missverständnisse zu vermeiden. Vermeiden Sie Fachjargon, es sei denn, er ist für die Experten relevant und ihnen bekannt.
  4. Struktur: Eine logische Struktur der Fragen kann helfen, den Gesprächsfluss zu fördern. Beginnen Sie mit allgemeinen Fragen und gehen Sie dann zu spezifischeren Themen über.
  5. Flexibilität: Seien Sie bereit, während des Interviews von der geplanten Reihenfolge der Fragen abzuweichen, um auf interessante Antworten einzugehen oder neue Themen zu erkunden, die sich ergeben. Sinnvoll können Nachfragen zur Präzisierung sein wie z.B.: „Wodurch unterschied sich die Arbeit im Krankenhaus, in dem Sie anschließend gearbeitet haben, von der im Pflegeheim?“

Bei aller sinnvollen Vertiefung sollte aber darauf geachtet werden, die Befragten nicht „ins Erzählen“ kommen zu lassen und sie notfalls rechtzeitig zu unterbrechen, um noch Zeit für die weitere vorbereitete Fragen zu haben. Letztlich sollte insbesondere bei mehreren Experteninterviews der Gesprächsverlauf in etwa vergleichbar sein, um die Auswertung zu erleichtern.

  1. Ethik und Vertraulichkeit: Informieren Sie die Experten vorab über den Zweck des Interviews und die Verwendung der Daten und holen sich ihr schriftliches Einverständnis (eidesstattliche Erklärung) dazu ein. Stellen Sie sicher, dass ihre Antworten anonymisiert und vertraulich behandelt werden.
  2. Dauer: Achten Sie darauf, dass der Fragebogen nicht zu lang ist, um die Geduld bzw. Zeitplanung der Experten nicht zu strapazieren. In der Regel sollten 30-45 Minuten nicht überschritten werden, für die in der Regel 5-6 (max. 10) komplexe Fragen bereits ausreichen. Planen Sie genügend Zeit für die Antworten ein.
  3. Aufbau: ein Interviewleitfaden lässt sich in der Regel in fünf Bereiche aufteilen: Begrüßung mit Hinweisen zum Ablauf und der Einverständniserklärung, Thematischer Einstieg, Hauptteil mit den vorbereiteten Fragen, Rückblick, Ausblick.
  4. Pilotierung: Testen Sie den Fragebogen im Vorfeld mit einer dritten Person Ihres Vertrauens um sicherzustellen, dass die Fragen gut formuliert sind und dass Sie an alle wichtigen Punkte gedacht haben.

Aus diesem kurzen Abriss wird bereits klar, dass intensive Vorbereitung und umfassende Beherrschung des Themas (Literaturkenntnis) notwendige Voraussetzungen für den Erfolg einer solchen Befragung sind. Diszipliniert umgesetzt, kann sie durch die Gewinnung qualitativ hochwertiger und gleichsam einmaligen Daten den gewünschten Beitrag zur Beantwortung der Forschungsfrage liefern.
Die Frage der methodisch sauberen Auswertung lassen wir an dieser Stelle bewusst außen vor und kann hier nachgelesen werden.

Wenn Sie Unterstützung bei der Vorbereitung, Durchführung oder Auswertung einer qualitativen Expertenbefragung wünschen, helfen wir Ihnen gern weiter.

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